Warum soll ich Schlaf trainieren? Interview mit einem Schlafcoach-Experten
Andreas Stollreiter beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den Themen Gesundheit und Motivation. Er ist ausgebildeter Physiotherapeut, Osteopath, Heilpraktiker, Sport-Osteopath, Yogalehrer und Extremsportler. Beruflich unterstützt er seine Klienten darin, ihr Mindset und den Umgang mit ihrem Körper zu verändern, um mentalen und physischen Herausforderungen zu begegnen. Andreas Stollreiter begleitet durch Vorträge, Seminare und Einzelsitzungen mit einem eigens entwickelten Health-Konzept Profisportler, Vorstände, Führungskräfte. In unserem Interview erklärt er, warum man für guten Schlaf trainieren muss und gibt hilfreiche Tipps für gesunde Schlafroutinen und die richtige Schlafhygiene.
"Schlaf ist Schlaf", da kann man eh nichts dran ändern. Wie siehst du das, Andreas?
Ich bin da anderer Meinung. Schlafqualität hat eine enorme Auswirkung auf die Lebensqualität. Deswegen ist es sehr wichtig, sich ausführlich mit möglichen Schlafstörungen zu befassen. Gerade in Kombination mit dem richtigen Training und einer ausgewogenen Ernährung ist guter Schlaf ein wesentlicher Faktor für ein erfülltes und erfolgreiches Leben. Zusätzlich ist vollwertiger Schlaf die Regenerations- und Entgiftungsquelle Nummer eins.
Wenn guter Schlaf unser Leben so bereichert, sollten wir erst einmal klären, warum wir überhaupt schlafen?
Das stimmt. Erst, wenn wir unseren Schlaf verstehen, haben wir die Möglichkeit, bei eventuellen Schlafstörungen anzusetzen. Während des Schlafens gleicht unser Körper Unruhen und Schäden vom vorherigen Tag wieder aus. Außerdem nutzt er die Energie aus unserer Nahrung und dem Sonnenlicht für regenerative Vorgänge. Ihr seht also: Wenn wir keinen guten Schlaf finden, lässt unsere Regeneration zu wünschen übrig und wir altern schneller. Deshalb: gut und richtig schlafen. Vielleicht hilft an dieser Stelle ein Blick auf die verschiedenen Schlafphasen. Ein Schlafzyklus dauert 90min. Davon haben wir in einer guten Nacht insgesamt 6 (also insgesamt 9h). Letztlich können wir uns solch einen perfekten Rhythmus auch aufteilen. Profisportler nutzen beispielsweise die Polyphase: Sie schlafen nachts 5 Zyklen und bauen am Mittag eine weitere ein. Auch so regeneriert sich unser System optimal.
Gibt es nicht auch verschiedene Schlafphasen während der Nacht?
Ganz genau. Es gibt 3 Schlaf-Phasen: die leichte Phase (45-55%), die tiefe Phase (12-25%) und die REM-Phase (20-25%). Die leichte Phase setzt direkt nach dem Einschlafen ein und immer dann, wenn wir zwischen den anderen beiden Phasen wechseln. In dieser Zeit reguliert sich unser Stoffwechsel, wir verarbeiten Emotionen und Erinnerungen. In der tiefen Phase regeneriert sich unser Körpergewebe. Die einfache Formel für Deinen Schlaf bedeutet also: Je mehr Dein Körper zu reparieren hat, desto mehr (und tiefer) solltest Du schlafen. In dieser Zeit finden nämlich wichtige Prozesse wie Muskelregeneration, Gehirn-Entgiftung und Blutzucker-Regulation statt. In der REM-Phase regeneriert sich unser mentales System. Dabei wird das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis verschoben. Die REM-Phase findet meistens im 2. Teil der Nacht statt. Wenn diese Phase gut ausfällt, hat unser Gedächtnis die Möglichkeit zur Stärkung und auch unsere Kreativität erhöht sich im Idealfall. Zur Verbesserung unserer Stimmung trägt die REM-Phase übrigens auch bei.
Welche Schlafphase ist denn die Wichtigste in Deinen Augen?
Viele Menschen glauben, die REM-Phase ist die Wichtigste. Letztlich benötigt unser Körper aber alle 3 Phasen im optimalen prozentualen Anteil, damit es eine wirklich „Gute Nacht“ wird.
Und was gehört zu gutem Schlaf dazu?
Wenn Menschen auf Ihren Schlaf achten, meinen sie, die reine Stundenanzahl sei ausreichend. Das stimmt nur bedingt. Wir sollten außerdem darauf achten, wie wir schlafen. Dabei lohnt sich ein Blick auf unsere Vorfahren. Erstens waren sie mehr in Einklang mit dem Biorhythmus, d.h. sie standen mit der Sonne auf und legten sich mit ihrem Untergang hin. Zweitens gab es keinerlei störendes Blaulicht von elektronischen Geräten (wie Handy, TV, PC, Tablet usw.). Blaulicht senkt die Melatonin-Produktion und das wiederum wirkt sich schlecht auf unseren Schlaf aus. Mein Tipp als Schlafcoach: alle Bildschirme während des Schlafens ausstellen. Da Licht unsere Tagesenergie stark beeinflusst, solltet Ihr morgens mindestens 15min. Sonnenlicht tanken. Es wirkt sich nicht nur positiv auf unseren Schlaf insgesamt aus, sondern stellt die innere Uhr richtig ein. Das Spielen mit Licht ist grundsätzlich eine tolle Sache. Macht am besten morgens das Licht von oben an und nutzt am Abend tiefer stehende Lichtquellen wie Kerzen oder ganz natürlich den Mond. Haltet Euren Schlafbereich möglichst dunkel. Wenn das nicht geht, helfen Schlafbrillen. Auch die Regulation der Körpertemperatur unterstützt uns bei gutem Schlaf. Wenn unsere Temperatur fällt, schlafen wir besser ein. Und wann passiert das? Beispielsweise nach einem Saunagang. Das ging Euch sicher auch schon so, oder? Nach 2-3 Saunagängen ist man ordentlich müde und schläft irgendwie „wohliger“. Ihr könnt Euren guten Schlaf außerdem mit sportlicher Bewegung unterstützen, aber am besten morgens. Sport erhöht bekanntermaßen die Körpertemperatur und dann seid Ihr wach. Allerdings: Sport am späten Abend verschiebt den sogenannten „Zirkadianen-Rhythmus“ nach hinten. Die Folge: Ihr schlaft schlechter ein. Zum Schlafen brauchen wir eine eher niedrige Körpertemperatur.
Interessant und der Zeitpunkt unserer Mahlzeiten spielt bei der Schlafqualität auch eine Rolle?
Unbedingt. Eine entscheidende sogar. Die „optimale“ letzte Mahlzeit am Tag habt Ihr 4-5h vor dem Einschlafen. Dann hat Euer Körper die Möglichkeit, alles vollständig zu verdauen. So kommen sich Verdauung und Regeneration in der Nacht nicht ins Gehege. Wenn Deine Verdauungsorgane auf Hochtouren arbeiten, weil Du eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen nochmal den Teller vollgeladen hast, kann Dein Körper nicht schlafen. Wenn Du Dich also an Deine zeitlichen Vorgaben hältst, wirst Du bemerken, dass Du besser schläfst. Dadurch erhöht sich die Funktionsweise Deiner Zellreparatur enorm. Vermeide außerdem Koffein nach 15h, denn es macht wach. Wenn Du es Dir in den späteren Tagesstunden gar nicht verkneifen kannst, reduziere die Menge auf maximal 100mg Espresso. Es ist wichtig, dass wir unser Verdauungssystem nicht nur als Verarbeiter unserer Nahrung definieren. Es beeinflusst außerdem unsere Hormone. 80% des Melatonins, das wir für unseren guten Schlaf benötigen, bildet sich im Darm. Aber das funktioniert nur, wenn unsere Nahrung dort gut zersetzt wird. Ergo: Hat der Darm zu viel mit verdauen zu tun und soll unser Körper schlafen, dann geht das nicht zusammen. Wusstet Ihr, dass auch unser Glückshormon Serotonin zu 80-90% im Darm gebildet wird? Und auch einige Schilddrüsenhormone werden im Darm umgewandelt. Die brauchen wir für unsere Gesundheit und Frauen für Ihren Eisprung.
Kannst Du Deine Tipps vielleicht nochmal für uns zusammenfassen?
Na klar. Wenn Ihr Euch an diese 12 sogenannten „Biohacks“ haltet, wird sich Eure Schlafqualität um ein Vielfaches verbessern.
Meine Schlafcoach-Tipps:
✓ Trage eine Blaulicht-Blocker-Brille. Schalte im Idealfall Blaulicht bereits 3h vor dem Schlafengehen aus
✓ Treibe Sport, aber mach das am besten am Morgen, denn hier liegen unsere Energie-Höhepunkte
✓ Nutze den Sonnenaufgang für Deine gute Energie.
Laufe barfuß durchs Gras – vor dem Schafengehen und nach dem Aufwachen – für etwa 20min. Das hat eine herrlich erdende Wirkung
✓ Iss noch vor dem Sonnenuntergang. Dann ist Deine Verdauung abgeschlossen, wenn Du zu Bett gehst und Dein Körper kann vollständig regenerieren
✓ Nimm nur für Dich gut verträgliche Lebensmittel als „letzte Mahlzeit des Tages“ zu Dir, damit sich Dein Blutzuckerspiegel stabilisiert
✓ Dimme das Licht und schalte EMF-Quellen aus (z.B. WiFi).
Halte Deine regelmäßigen Schlaf- und Wachzeiten ein.
Schlafe in abgedunkelten Räumen
✓ Schlafe in kühlen Räumen, am besten bei einer Temperatur von ca. 19°C
✓ Schlafe bei offenem Fenster oder offener Schlafzimmer-Türe. Lüfte vor dem Schlafengehen
✓ Pflanzen im Schlafzimmer sorgen für Sauerstoff und ein gutes Raumklima
✓ Trage atmungsaktive Kleidung zum Schlafen
✓ Nutze 1 Matratze pro Person
✓ Versuche, aus dem gedanklichen Hamsterrad zu kommen, mindestens 1h vor dem Schlafengehen
✓ Ziehe Dein Bett weg von der Wand und schalte Dein Handy aus
✓ Wechsle regelmäßig Deine Bettwäsche
Lieber Andreas, vielen Dank für Deine Zeit und Deine hilfreichen Schlaftipps. Wir schalten jetzt den PC aus. Gute Nacht.